Dritter Gesang - Antonio
Buch: Größere lyrisch-epische DichtungenSammlung: Die Marionetten - Nachtstück
Der Klausner trug die leuchtende Laterne. Fort war der Mond; aus finstern Wolken glommen Nur matt und scheu hervor die seltnen Sterne. Mich aber hatte plötzlich überkommen Die große Wehmuth der Vergangenheit. Ich that dem Alten schweigend und beklommen Durch seinen dunklen Garten das Geleit. Ich dachte traurig an so manches Grab, Und allen Todten war mein Herz geweiht. Auch die Natur, die nächtlich stille, gab Gedankenvoller Wehmuth sich zu eigen; Nach dem Gewitter tropft es noch herab Wie weinendes Erinnern von den Zweigen. So mochten wir wohl eine Stunde ziehn Durch Fels und Wald mit ungebrochnem Schweigen. Wir sahn die Wolken kommen und entfliehn, Den Mond verhüllen bald, und wiedergeben. Drauf wies der Alte sinnig deutend hin, Und endlich sprach er: "Dort am Fels erheben Die Mauern sich vom alten Grafenschloß; Dort wollen wir den Rest der Nacht verleben!" Und schneller schritt mein leitender Genoß Den Bergpfad mir voran im Mondenscheine, Der wie versöhnend die Ruin' umfloß. "Hier," - fuhr der Alte fort - "an diesem Steine, Hier saß Maria, ich vergess' es nimmer, Die schöne Jungfrau noch, die himmlisch reine, Umspielt vom linden West, vom Abendschimmer. Hier stand vor ihr der falsche Bösewicht, Der lächelnd sie zerbrach in kalte Trümmer. O Maienluft! o helles Abendlicht! Warum habt ihr das arme Kind verrathen, Da ihr geschmeichelt um ihr Angesicht, Daß ihre tiefsten Blicke auf sich thaten, Daß ihre Reize all', von euch betrogen, Unselig siegreich auf die Wange traten! Wie heiß Lorenzo's Blicke sie umflogen! Und, schwelgend in der Blüthe vollem Prangen, Den holden Reichthum trunkenhaft erwogen! Wie zauberisch Lorenzo's Lippen klangen! Bald süß und weich die weltgeschliffnen Worte, Bald kühn und kräftig auf den Hörer drangen, Womit er leicht ein junges Herz durchbohrte! Den Vater auch bezwang der Rede Kraft, Und brach zu seiner Gunst die letzte Pforte. Mir ward Roberto's Schloß zur Kerkerhaft; Ich stieg zu Roß in selber Nacht und sprengte Von dannen schnell mit meiner Leidenschaft. Doch ob ich auch mich in die Schlachten mengte, Ich konnte nicht die Glut im Herzen mildern, Die heimlich und unlöschbar mich versengte. Lang kämpft' ich mit des Zweifels schwanken Bildern, Bis aus der Heimath mir ein Bote kam, Die traurige Gewißheit mir zu fchildern: Wie der Verführer frech und ohne Scham Gar bald die Eide brach, die er geschworen: Lorenzo floh-, Maria starb vor Gram. Wie bitter schwer Roberto sie verloren, Und wie in ihm der Liebe letzter Funken An seines Kindes kalter Leich' erfroren; Und wie sein Blick, in's todte Kind versunken, Schmerzlich ergründet, was man ihm geraubt, Und sich mit wilder Rache vollgetrunken. Die Nacht des Wahnsinns schlug sich um sein Haupt: Sie trieb ihn fort und fort nach allen Winden Rastlos, wie durch den Wald der Jäger schnaubt. Doch sah er stets die blut'ge Hoffnung schwinden; Durch Land und Meer trieb ihn der Rache Qual, Er konnte nicht die Spur Lorenzo's finden. Da fuhr ihm plötzlich, wie ein Wetterstrahl, Prophetisch durch der Seele Finsterniß Die Sehnsucht nach dem fernen Felsenthal; Und was ihn erst in alle Fernen riß: Nun zwang es ihn zurück in diese Räume, Als wäre hier sein Opfer ihm geWitz. Hier träumt er immer wilder feine Träume, Die rings umher getreue Freunde hatten: Ruinen, Gräber, finstre Tannenbäume. Wie auf der Wüste, dürr und ohne Schatten, Wenn sie den Tag um dunkle Nacht vertauscht, Der Wandrer sinkt in durstendem Ermatten, Einschläft und träumt, daß ihm die Quelle rauscht: Vom Sand empor dann fährt der Frohbethörte, Und in die Nacht, die dunkle, stille, lauscht: So war's Robert, Wenn's ihn vom Schlaf empörte, Als ob er aus Lorenzo's Busen noch Die heißersehnte Quelle rieseln hörte. Wenn dann das schwarze Traumbild sich verkroch, Wie glühend quält' es ihn, zu hören nur Des eignen Herzens einsames Gepoch! Oft wenn er so empor vom Lager fuhr, Erweckt' er seine alten, treuen Knechte, Und schwur mit ihnen seinen Racheschwur. Auch trieb er oft mit ihnen lange Nächte Ein närrisch Puppenspiel, worein er trug Wahrheit und Traum in grausigem Geflechte. Die Puppen mußten spielen, Zug für Zug, Viel längstvergangne, traurige Geschichten, Nachtapften seinem wilden Geistesflug; Doch immer war das Spiel ein Klagen, Nichten: Unheimlich kindisch war des Alten Drang, Auch nur im Bild Lorenzo Zu vernichten. So lebte Robert manche Jahre lang,- Von allen Wandrern, die das Thal betreten, That keiner nach dem Schlosse mehr den Gang. Doch kam ein Abend: Maienlüfte wehten, Es ruhte auf dem alten Schlotzgestein Der Strahl, wie einst, mit röthlichem Verspäten. Roberto saß betrübt im Abendschein, Und sinnend sank das Haupt ihm, das ergraute, Und hüllte in's Vergangne ganz sich ein. Wie er nun klar sein Kind Maria schaute, Und wie sein starrer Blick leibhaft vor sich Das Bild Lorenzo's in die Dämm'rung baute: Da schallten Tritte und - sein Traum entwich - Ein junger Mann nun plötzlich vor ihm stand, Der wunderbar genau Lorenzo glich. Es war Lorenzo's Sohn. Aus fernem Land War er gefolgt dem dunkeln Trieb, zu reisen, Bis sich sein Pfad in diese Thäler wand, Und ihn mit Lockungen, mit holden, leisen, Verführte schlangenhaft in diese Schluchten, Nach des Verhängnisses geheimen Kreisen. "Halloh! nun endlich hab' ich dich, Verfluchten!" So rief Robert, sprang auf und hielt ihn fest; "Gelüstet dich nach meinem Kind, Verruchten? Stahlst du nicht frevelnd mir den letzten Rest? Lorenzo, hab' für dich kein Opfer mehr! Maria ist von deinem Kuß verwest!" Und riesenkräftig schleift er ihn einher. Was ihm an Kraft geschwunden mit den Jahren, Beschwor die Wuth zu schneller Wiederkehr. Mit Flammenaugen, weißen Flatterhaaren, Ist er mit ihm zu jenes Thurmes Thüre, Ein Rachedämon, brausend hingefahren. Umsonst betheuerten Antonio's Schwüre, Es sey Lorenzo's vorwurfsloser Sohn, Um den er seine Eisenkette schnüre; Und seiner Knechte Wort klang ihm wie Hohn, Daß welk und grau ja längst Lorenzo sey, Da dreißig Jahre schon nach ihm entstohn. Dem Wahnsinn war das Alte nicht vorbei: . Lorenzo's Züge waren mit den Zeiten Gealtert nicht in seiner Phantasei. Und in des Thurmes finstern Einsamkeiten, War nun Antonio's schrecklich Loos, zu schmachten, Zu hören stets die Todesstunde schreiten. Roberto säumte noch, ihn hinzuschlachten: "Bis seinen Lauf der bleiche Mond vollendet, Soll dich die feste Kerkerwand umnachten. Die Frist sey dir, Verbrecher, noch gespendet, Auf daß auch dich dein Vater sterben sehe;" Und in die Ferne ward ein Brief gesendet. Lorenzo ahnte nicht des Schicksals Nähe. Schon war verschlummert seine Jugendsünde, Sein Herz erwärmet in beglückter Ehe; Da kam das Schreckensblatt von seinem Kinde; Da brach er auf und flog mit Sturmeseile, Daß er Antonio noch lebendig finde, Daß er des Wahnsinns blut'gen Irrthum heile, Und das schuldlose Opfer schnell erlöse; Wo nicht, den Tod mit seinem Sohne theile. Wohl mahnte laut sein Herz ihn an das Böse Der Jugendschuld, als er dem Schloß genaht, Mit des Gewissens hämmerndem Getöse; Wohl trieb er seinen Witz nach klugem Rath, Wie er den Sohn entreiße der Gefahr, Und selber nicht bezahle seine That. Ihm folgte schützend eine Waffenschaar Zum Schlosse, das ihm schon entgegendrohte, Rauh, wie der Rache thürmender Altar. Durch Nebel taucht' empor das blutigrothe Antlitz des Mondes am bewegten Himmel, Der schreckensvollen Nacht ein ernster Bote. Der Wolken trübweissagendes Gewimmel Flog unstet über's Thal, die Winde trugen Herüber fernen Donners dumpf Getümmel: Als an das Grafenschloß die Wandrer schlugen, Und bald darauf das Thor, das langentwöhnte, Einlaß gewährend knarrt' in seinen Fugen. Ihr scheuer Tritt im öden Burghof tönte, Wo alles einsam, still und finster lag, Durch's hohe Gras allein der Windhauch stöhnte. Die Waffenknechte lauschten stumm und zag; Lorenzo hört des Busens alten Wächter Stets lauter mit erinnerungsvollem Schlag, Und ihn ergriff, wie die gedungnen Fechter, Ein Grauen: plötzlich aus des Schlosses Tiefen Schnitt durch die Nacht ein höhnisches Gelächter; Dann todesstill; - dann wirre Stimmen riefen. Schon sah Lorenzo, dem der Muth zerbrach, Die Nacht vom Blute seines Kindes triefen. Und zaudernd schritten sie dem Laute nach, Und über Treppen, dunkle Hallengänge, Betraten sie ein dämmerndes Gemach. Hier sah'n sie das phantastische Gepränge Der wunderlichen Marionettenbühne; Hier lernten sie verstelm die krausen Klänge. So eben eifert der wahnwitzig kühne Poet, daß er auch strafe die Bethörung An seinem Helden und das Schicksal sühne: Und mit den Worten innigster Empörung Empfing den Todesstreich Lorenzo's Puppe. Jetzt fuhr der Alte auf, entzückt der Störung: "Ihr Herren, wie behagt euch diese Gruppe?" "Soll wiederholet werden euch zu Ehren Von meinem tüchtigsten Schauspielertruppe! Ich kenn' euch wohl und euer heiß Begehren: Doch wollet nur indeß Gedulden tragen, Und lustig erst den Willkommsbecher leeren!" Der Vorhang fiel; doch wollte nicht behagen Der Becher, den Roberto's Knechte reichten, Bis wieder ward der Vorhang aufgeschlagen. Bei einer Dämmerlampe trübem Leuchten Begannen ihren Tanz die Marionetten; Doch schrecklich, daß die Gäste dran erbleichten, Denn plötzlich schauten sie, geschleift an Ketten, Verhöhnt von Roberts tragischem Sermon, Mit plumpem Tritt - Antonio's Leiche treten. Lorenzo starb vor Schreck an seinem Sohn; Die Knechte hüllten schreiend ihr Gesicht, Und mit Entsetzen stürzten sie davon." - So weit des Klausners nächtlicher Bericht. Und ich erwacht' an eines Baches Rand, Als durch die Felsen drang das Morgenlicht, Nachsinnend, wo der Eremit verschwand; Ob Wahrheit, was nun meine Sinne mied, Ob eines bösen Traumes wilder Tand? - Und als ich aus dem Klippenthale schied, Sah wieder ich des Lammes Wolle beben Am Strauche, den die Sonne ewig flieht, Im Hintergrund den stillen Geier schweben.
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