Zweiter Gesang - Lorenzo
Buch: Größere lyrisch-epische DichtungenSammlung: Die Marionetten - Nachtstück
Der Sturm verstummte, die Gewitter schwiegen, Das volle Mondlicht hatte sich ergossen, Beruhigend sich an das Thal zu schmiegen. Ich sah mit meinem wirthlichen Genossen Beim Abendmahl; da hob er seinen Wein, Mich feierlich einladend, anzustoßen. Ein Frauenbild, erhellt von Lampenschein, Hing an der Wand, umhüllt von schwarzem Flor: Drauf wies er hin und sprach: "ich denke dein!" Und plötzlich stürzten Thränen ihm hervor. Auf seinen Zügen lag ein tiefes Leid, Wie er im theuren Bilde sich verlor. Ich that aufs Wohl der Todten ihm Bescheid, Und als ich anstieß mit dem trüben Zecher, Da hatte heimlich mir die Ewigkeit Von ihrem Ernst geträufelt in den Becher. Der Eremit begann mit scheuem Munde Von einer schwarzen That und ihrem Rächer Zu geben mir die schaudervolle Kunde. Und wie er in's vergangne Leben schied, Riß er die Zeit von jeder Herzenswunde. - - Du, Gott des Schmerzes, rüste du mein Lied, Und wappne mich auf den verwegnen Gang Durch's ungeheuer nächtliche Gebiet. Gib mir ein wildes Herz, daß mein Gesang Auf seiner Bahn vor Schreck' nicht sterben dürfe- Gib mir. ein Herz, das lauten Wetterklang Wie süße Nachtigallenlieder schlürfe! Und wenn in's Thal mit grimmigem Frohlocken Die Stürme werfen ihre Donnerwürfe, Daß Wald und Fels herunterbricht erschrocken: Dem Herzen sey's schwermüthiges Behagen, Wie Niedersäuseln welker Blüthenflocken! - "Graf Robert sehnte sich nach stillen Tagen. Er hatte viel sich durch die Welt getrieben, Des Lebens manchen heißen Kampf geschlagen. Im Herbst der Tage schwanden ihm die Lieben' Da wird die Freudenflur so still, so leer! Wohl dir, ist dann ein Kind dir noch geblieben; Dir fallen leise dann und minder schwer Des Alters unvermeidlich bittre Loose, Dir weht es milder von den Gräbern her! Roberto klagt an manchen Hügels Moose, Trübhadernd mit den räuberischen Jahren: Nun hing sein Herz an seiner letzten Rose. Geschieden von der Welt bewegten Schaaren Hat sich sein Herz, das nur den Frieden sucht, Des Glückes letzte Spur sich zu bewahren. Er zog mit seinem Kind in diese Schlucht; Maria that in ihrer Morgenblüthe Der Einsamkeit entsagungsvolle Flucht. An Schönheit wunderbar, an tiefer Güte, War selige Genüg' ihr stilles Leben, Daß sie den Abend ihres Vaters hüte. Auf jenen Felsen, die am höchsten streben, Stand ihm sein Ahnenschloß, seit lange wüste, Wehrlos dem Sturz der Zeiten hingegeben: Von wannen einst in krieg'rischem Gelüste Der Ritter brausen ließ die blut'gen Fahnen, Wo man den Freund mit Wein und Sang begrüßte. Dahin von seinen sturmbewegten Bahnen Trieb ihn die Sehnsucht, nach den Tannenhainen, Zur längst verglühten Asche seiner Ahnen. "Dort will ich meine letzte Thräne weinen Dem treuen Weib: dort wird dem Tode mild Des Kindes Lieb' in's finstre Antlitz scheinen!" So malte sich sein Herz des Schicksals Bild, Als mit Marien er die alten Mauern Bezog in diesem einsamen Gefild." - Nun schwieg der Eremit und sank mit Schauern Zurück in der Erinn'rung dunkle Nächte; Bis wieder er begann mit tiefem Trauern: "Ich war ein Jüngling, würdigem Geschlechte Entsprossen, mit dem tapfern alten Grafen Zurückgekehrt aus rühmlichem Gefechte, Als mich die Blicke seiner Tochter trafen Und mich durchdrangen mit fo heißen Wunden, Die nur mit meinem letzten Hauch entschlafen. Hab' ich auch Liebe nicht bei ihr gefunden, Blieb doch seit jenem süßen Augenblick Der Wunsch, je zu genesen, überwunden. Roberto, gönnend mir ein froh Geschick, Erhoffte von der leisen Macht der Tage, Daß sich ihr Herz noch neige meinem Glück, Und daß ich nicht dem Waffenfreund versage, Zu folgen ihm auf seiner Väter Schloß. Ich folgte trauernd, aber ohne Klage. Wenn ich die Näh' der Himmlischen genoß, Der Wimper keine Bettlerin entschlich, Was ich an Thränen einsam auch vergoß. Ein schnelles Jahr, voll bittrer Wonn', entwich, Umsonst hat sie mein stummer Schmerz beschworen: Mir sprach kein Hauch, kein Blick: ich liebe dich! Das Loos hatt' einen Andern ihr erkoren, Der wie ein Sturm ihr junges Herz bezwang, An den sie Herz und all ihr Glück verloren. - Einst saßen wir am steilen Felsenhang Vor dem Ruinenschloß und überließen Nachsinnend uns dem Sonnenuntergang. Dort sah ich ganz die Rose sich erschließen; Maria's offnes Auge, tief und klar, Schien Seelen in den Abend auszugießen; Die leisen Winde küßten ihr das Haar, Auf ihren Busen kamen, sich zu wiegen, Die Purpurstrahlen hell und wunderbar; Der Himmel schien am Halse ihr zu liegen. Ich aber wünscht', es möchte meine Seele In solchem Anblick sterben und versiegen. Und ich begann, daß ich mein Leid verhehle, Zu singen mit Robert, dem Mann der Waffen, Ein altes Reiterlied aus voller Kehle. Da stört' uns plötzlich lautes Hundeklassen: Zwei Doggen kamen schnell herausgedrungen, Als wollten sie dem Wind ein Wild entraffen, Und hinterdrein, von Fels zu Fels geschwungen, Mit stolzem Wuchs, waidmänmsch angethan, Die Faust um's schlanke Feuerrohr geschlungen, Kam rasch und kühn ein Mann den Berg heran. Und mich erfaßt' ein sonderbar Gefühl, Als ich ihn sah mit leichtem Gruße nahn: Die Stirne brütend und gewitterschwül, Die Augen zwei gefangne Blitze brennen: Doch lag es um die Lippen ihm so kühl, Gin Räthsel, unerfreulich zu erkennen. Die Blässe sprach: dies Herz hat keinen Frieden: Unheimlich schön war die Gestalt zu nennen. Ob auch Maria's Blicke ihn vermieden, Ich sah des Vaters Hand sie zitternd fassen: Auf immer war die Ruh von ihr geschieden, Ich sah ihr wechselnd Glühen und Erblassen; Und ich empfand in meines Herzensgründe Zu jenem Fremden ahnungsvolles Hassen. Ich will vollenden dir die trübe Kunde: Doch vor Maria's theurem Bilde nicht. Komm, folge mir in dieser stillen Stunde!" So sprach der Eremit und nahm ein Licht, Und ernst verließen wir das öde Haus: Er sah mir recht bekümmert in's Gesicht, Und wies mir in die dunkle Nacht hinaus.
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